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Paula Modersohn-Becker

* 8. Februar 1876 in Dresden
† 20. November 1907 in Worpswede

Text aus dem Katalog zur Ausstellung »Die schaffende Galatea. Frauen sehen Frauen«

Paula Modersohn-Becker zählt zu den bekanntesten Vertreterinnen früh­expressionistischer Malerei. Mit erstaunlich produktiver Hand und einem wachen Auge für die künstlerischen Errungenschaften ihrer Gegenwart erschafft sie in kürzester Zeit ein Œuvre von besonderer bildsprachlicher Originalität, mit dem sie sich von ihren Lehrern, Kollegen und Kritikern emanzipiert sowie wesentliche Aspekte der modernen Kunst verarbeitet und vorwegnimmt. Neben Stillleben, Landschaften und Selbstporträts dominiert die Darstellung der Frau in allen Lebensphasen, vom Kind über die junge Mutter bis zur ruhenden Alten, ihr malerisches Werk. Formal zeichnen sich dabei zwei verschiedene Ausdrucksweisen ab.

So entstehen im Umfeld der Worpsweder Künstlerkolonie, der sie seit 1898 angehört, vor allem Genreszenen des einfachen Landlebens. Getragen von gedeckten Erdtönen und einer melancholischen Grundstimmung, stehen sie etwa dem Symbolismus Edvard Munchs nahe, dessen Bilder die Künstlerin auf einer Norwegenreise kennenlernt. Andere Arbeiten strotzen dagegen nur so vor blühender Lebensfreude: Schwungvolle Linien konturieren blumenbekränzte und mit Früchten geschmückte Frauen und Mädchen. Sie erinnern in ihrer strahlenden Farbigkeit und dem breiten Pinselstrich eher an die Kunst des französischen Postimpressionismus und tragen stellenweise gar expressionistische Züge. In seiner ambivalenten Ausprägung spiegelt Modersohn-Beckers Werk auch einen Zwiespalt ihres Lebens wider.

Als drittes von sieben Kindern einer weltoffenen und kulturinteressierten Ingenieursfamilie des liberalen Bürgertums verbringt Minna Hermine Paula Becker die Kindheit in ihrer Geburtsstadt Dresden und die Jugend in Bremen. Ihren ersten Kunstunterricht erhält sie im Alter von 16 Jahren in London. Während ihrer Lehrerinnenausbildung knüpft sie daran mit Privatstunden bei dem Maler Bernhard Wiegandt an, bevor sie 1896 in die Hauptstadt zieht und die Zeichen- und Malschule des Vereins der Berliner Künstlerinnen von 1867 besucht. Bei Fritz Mackensen will sie ihre Fertigkeiten vertiefen, zieht nach Worpswede und lernt die dort versammelte Künstlerkolonie kennen, darunter auch den elf Jahre älteren Otto Modersohn, den sie 1901 heiratet. 

Im Jahr 1900 verbringt sie sechs Monate in Paris. Die Kunstmetropole zieht die 24-Jährige sofort in ihren Bann. Drei weitere Aufenthalte folgen und profilieren das Werk der Künstlerin nachhaltig. In der Stadt an der Seine besucht sie Freunde wie Rainer Maria Rilke, begegnet Kollegen wie Auguste Rodin und lernt die Museen, Sammlungen und Kunstströmungen der Zeit kennen. Oft zeichnet sie im Louvre und setzt sich besonders intensiv mit der Kunst von Paul Cézanne und Paul Gauguin auseinander, was sich in ihrem Werk unter anderem in einer starken Be­tonung der Kontur widerspiegelt – beispielsweise in dem Stillleben mit Goldfischglas (1906) oder dem Mädchenakt mit Blumenvase (1907).

Die beiden Bilder Mädchen an Birkenstamm gelehnt vor Landschaft (1902) und Mädchen mit Strohhut, einen Birkenstamm umfassend (1903) – die Birke zählt zu den etablierten Motiven des Worpsweder Kreises – entstehen hingegen in dem Torfbauerndorf am Teufelsmoor. Die merkwürdige Stimmung changiert zwischen Sehnsucht und Verwurzelung. Entsättigte und dunkle Farbtöne hüllen leere Blicke und verzweifelte Gesten in eine bedrückende Melancholie. Es scheint fast so, als reflektierten die beiden Gemälde eine innere Zerrissenheit der Künstlerin: Daheim in Worpswede sehnt sie sich nach dem Rausch der Großstadt und in Paris vermisst sie ihre Familie.

Dass der sesshafte Otto Modersohn die Leidenschaft für Paris nicht teilen kann, belastet die Ehe ebenso wie seine künstlerische Bevormundung und der unerfüllte Kinderwunsch – welcher angesichts der zahlreichen Porträts von Müttern und Kindern umso schwerer zu ertragen ist. 1906 verlässt die Künstlerin ihren Ehemann, zieht wieder nach Frankreich und tankt neue Schaffenskraft. Doch das Paar findet wieder zusammen und kehrt zu Ostern 1907 nach Worpswede zurück. Am 2. November kommt Töchterchen Mathilde zur Welt, 18 Tage später stirbt die junge Mutter mit 31 Jahren an einer Embolie. Paula Modersohn-Becker hinterlässt ein Œuvre von 750 Gemälden und gut 1.000 Zeichnungen, darunter einige der bedeutendsten Kunstwerke des frühen 20. Jahrhunderts.

Katharina Lorenz