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„Aber das arme Publikum! es zerbricht sich jetzt die Köpfe“

Beau Fils de Nasst und namenlose Kühe

Giebichensteinbrücke, Foto Hans Finsler, 1928

Mitte der 1920er Jahre ist die Brücke über die Saale am Fuß des Giebichensteins den verkehrstechnischen Anforderungen nicht mehr gewachsen und zudem ein optisches Ärgernis. Die alte Stahlbrücke mit nach oben gerichteten Fachwerkbögen wird durch eine „technisch und künstlerisch gleich einwandfreie Brücke“ aus Beton ersetzt. 1 Die Eisbrecher sollen mit Plastiken geschmückt werden. Der Auftrag geht an Gerhard Marcks. Paul Thiersch ist einer der Brückenarchitekten und hat, wie Marcks überliefert, dazu feste Vorstellungen: „Da wird jetzt von Thiersch eine neue Brücke gebaut, und er hat sich‘s in den Kopf gesetzt davor von mir zwei 11 m hohe Stein­figuren setzen zu lassen. Das bezügliche Thema ist dem Archäologen Wolters vom Stephan-George-Kreis zugefallen: Albruna, die dem Drusus Halt gebietet. Ein sehr schönes Thema, und man sagt, die Szene hätte sich hier in der Gegend, so zwischen Halle und Hamburg, abgespielt. Es fragt sich noch, wie man den Stadtvätern der verschiedenen Parteien die Pille schmackhaft macht.“2 Auf einem Foto des von der Städtischen Tiefbauverwaltung angefertigten Brückenmodells sind die von Marcks entworfenen monumentalen Statuen zu erkennen: auf der ländlichen Seite der mit seinem Schwert bewaffnete römische Feldherr Drusus und ihm gegenüber die die Stadt beschützende germanische Seherin Albruna, gerüstet mit einer Spindel als Symbol ihrer Macht. 

Dem Magistrat der Stadt ist das Thema dann doch nicht schmackhaft zu machen: „Der Drusus ist natürlich in‘s Wasser gefallen. Das Thema wäre ‚nicht modern‘“. 3 Nur wenige Jahre später, nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten, wäre der Disput über die Ikonographie sicher anders ausgegangen.

Zur Enttäuschung von Thiersch nimmt Marcks Abstand von der Idee, vertikale Figuren gegen die horizontale Linienführung der Brücke zu stellen. Er verabschiedet sich damit zugleich vom mythologischen Thema. Marcks plant jetzt zwei Tierfiguren auf die Pfeiler zu stellen. Das Thema liegt dem begnadeten Tierbildner nah. Gezeichnete, in Holz geschnittene, in Bronze gegossene Tiere – darunter Pferde und mit ganz besonderer Vorliebe Kühe – finden sich in allen Werkphasen. Zunächst will er die Figuren in Basalt ausgeführt sehen. 3 Aus ästhetischen, technischen und finanziellen Gründen – die Stadt ist hochverschuldet – nimmt er von dieser Idee Abstand. So bekommt die Betonbrücke ihre Betonfiguren. 

In Halle erzählt man noch heute die Geschichte, wonach ein belgischer Braunschimmel aus dem Gestüt Kreuz – nahe der Burg im Stadtteil Kröllwitz – für das Brücken-Pferd Modell stand. Wer die Haustierkundliche Sammlung der halleschen Universität online besucht, erfährt: Das Pferd hieß Beau Fils de Nasst, lebte von 1923 bis 1940 und prägte die deutsche Kaltblutzucht. 

Unter der sich brüskiert fühlenden halleschen Künstlerschaft sorgt die „konkurrenzlose Vergabe“ des Auftrags an Marcks sowie die Vergabe der Ausführungsarbeiten an Auswärtige für heftige, auch öffentlich ausgetragene Proteste. Es kann nicht überraschen, dass die Kontroversen auch für parteipolitische Zwecke genutzt werden. Zum Beispiel folgert die Zeitung der KPD kurz und bündig: „Auch die Kunstausübung wird von den kapitalistischen Profitinteressen diktiert.“ 5 

Nachdem die Stadt zuerst das Sagenmotiv und dann den Vorschlag für zwei stehende Akte abgelehnt hat, streiten Paul Thiersch, Oberbürgermeister Richard Robert Rive und Stadtbaurat Adolf Heilmann an der Seite von Gerhard Marcks erfolgreich für „Kuh“ und „Pferd“. Marcks kommentiert die Querelen: „… die Brückentiere werden jetzt ausgeführt, nach heißen Kämpfen, und wenn die Stadt jetzt was gutes kriegen sollte, so hätte sie es knapp verdient.“ 6 Und wieder geht es auch um ikonographische Fragen. Der Bildhauer zeigt sich amüsiert: „Aber das arme Publikum! es zerbricht sich jetzt die Köpfe, was Pferd und Kuh an der Brücke ‚zu bedeuten hätten‘.“ 7 Dabei ist es ganz einfach: die Tiere stehen für die Verbindung der südlich-städtischen mit der nördlich-ländlichen Seite der Stadt – so wie die Brücke selbst es ganz praktisch tut. 

Marcks zeigt „Kuh“ und „Pferd“ bis zum Bauch im Wasser stehend. Erste Überlegungen, die Tiere von Menschen durchs Wasser führen zu lassen, hat er offenbar rasch verworfen. 8 Mit ihren massigen Körpern und den zum Ufer geneigten Köpfen stemmen sie sich gegen das ihnen entgegenströmende Wasser.

Kurz vor Kriegsende, am 14. April 1945, zerstört als letzte „Verteidigungsmaßnahme“ ein deutsches Sprengkommando neun Brücken in Halle, auch die Giebichensteinbrücke. 9 Wie durch ein Wunder bleiben „Kuh“ und „Pferd“ unbeschädigt. Die Brücke wird 1949 wieder aufgebaut. „Kuh“ und „Pferd“ werden zwischen 2011 bis 2013 aufwendig restauriert. Arie Hartog beschreibt sie als Hauptwerk des Bildhauers und zugleich der deutschen modernen Bildhauerei, wohl wissend und es auch schreibend, dass man das in Halle schon immer gewusst hat. 10 

1) Heilmann 1927, S. 15.  2) Marcks an Richard Fromme, Halle, 13.1.1927, zit. nach: Frenzel 1988, S. 53.  3) Marcks an Richard Fromme, Halle, 30.4.1927, zit. nach: Frenzel 1988, S. 53.  4) Das schildet Marcks am 1.9.1927 in einem Brief an Paul Thiersch, vgl. Schneider 1989, Textband, S. 120.  5) Klassenkampf: Organ der KPD Halle-Merseburg v. 6.9.1928, in: Akten des Magistrats Halle, A 2.47 Kap. 3 Abt. B Nr. 3 Bd. 10, STAH.  6) Marcks an Richard Fromme, Halle, 21.8.1928, zit. nach: Frenzel 1988, S. 58.  7) Marcks an Johannes Driesch, Halle, 16.12.1928, zit. nach: Frenzel 1988, S. 60.  8) Vgl. Hartog 2013, S. 17–19.  9) Die Brücke ist bis heute auch unter ihrem vormaligen Namen als Kröllwitzer Brücke, nach alter Schreibweise Cröllwitzer Brücke bekannt..  10) Vgl. Hartog 2013, S. 17.

 

Renate Luckner-Bien, Text aus:

»Wir machen nach Halle. Marguerite Friedlaender und Gerhard Marcks«
Katalog zur gleichnamigen Ausstellung in der Kunsthalle Talstrasse, Halle (Saale)