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Annemirl Bauer

* 10. April 1939 in Jena
† 23. August 1989 in Berlin

Text aus dem Katalog zur Ausstellung »Die schaffende Galatea. Frauen sehen Frauen«

Als der Prenzlauer Berg von Berlin außen grau und innen bunt gewesen ist, gibt es am Helmholtzplatz eine Malerin, die in einem alten Laden lebt und arbeitet: Annemirl Bauer. Wegen des Zustands ihrer Ladenwohnung am Helmholtzplatz schreibt sie 1969 eine Eingabe an Lotte Ulbricht, die Frau des Staatsratsvorsitzenden. So von Frau zu Frau, um nicht nur ihr klar zu machen, dass die Forderung an sie, doch optimistischere Bilder zu malen, wenn sie öffentliche Anerkennung haben wolle, schon alleine am Zustand ihrer Wohnung scheitert. 

Die Malerin hat nicht viel Geld, sie malt und zeichnet auf alles, was ihr unter die Finger kommt, auf Teppiche und Schranktüren, alte Liegestüh­le und Waschbretter, alles was der Sperrmüllcontainer am Helmholtzplatz oder später die Dorfscheunen des Hohen Flämings so hergeben. Ein weggeworfener Liegestuhl ist Malgrund für eines ihrer wichtigsten Werke, Alibifrau mit eingeschlossenem Selbst, eine Auseinandersetzung mit Frauenrollen, die Annemirl Bauer in allen ihren Schaffensphasen beschäftigen. 

Sie lässt sich nicht festlegen und nicht eingrenzen, auch wenn das für sie nicht nur angesichts der kaum einen halben Kilometer von ihrem Atelier entfernten Berliner Mauer heißt, immer wieder gegen Grenzen zu stoßen. 1980 malt sie Der Himmel über Berlin ist unteilbar, ein Altarbild, das sich mit der geteilten Stadt auseinandersetzt – kein Bild, das gezeigt werden kann. 1976 wendet sie sich an den Präsidenten des Verbands Bildender Künstler, den Maler Willi Sitte, um gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns zu protestieren, mit einem Satz, der ihre Eigenständigkeit betont: „Ich stimme nicht in allen Fragen mit Biermann überein. Dass er hinterwäldlerisch mit Frauen umgeht, mich in meiner politisch andersartigen Kunst nicht anerkennt, hindert mich nicht daran, in Fragen der Überarbeitung mich mit ihm solidarisch zu erklären.“ Schwerer wiegt 1983 ihre Eingabe gegen die Wehrpflicht von Frauen, die in der DDR per Gesetz eingeführt worden ist und Frauen im Mobilmachungsfall einbezieht. Bauer schreibt einen fünfseitigen Brief an Willi Sitte, mit Kopie an das Kulturministerium der DDR und das ZK der SED, in dem sie Reisefreiheit für alle fordert, die Entmündigung und Deformierung der Persönlichkeit anklagt und die Eingrenzung eines ganzen Volkes als Gewaltanwendung beschreibt. In der Folge wird sie trotz Fürsprache von Kolleginnen und Kollegen aus dem Verband Bildender Künstler ausgeschlossen, was in der DDR faktisch einem Berufsverbot gleichkommt. Sie wird aus der Öffentlichkeit gedrängt, die Staatssicherheit leitet Zersetzungsmaßnahmen ein, mit dem Ziel, sie zu isolieren. Das Land auf Dauer zu verlassen, wie ihr angeboten wird, will sie trotz der Schikanen nicht. 

Annemirl Bauer ist eine Malerin, die immer wieder entdeckt werden muss, sie teilt dieses ­Schicksal mit vielen Bildenden Künstlerinnen. Dass sie eine Frau ist, spielt am Anfang ihrer Laufbahn kaum eine Rolle, das kommt erst später, als es um Ruhm und Macht und Reisen in den Westen geht. Annemirl Bauer ist kaum 16 und hochtalentiert, als sie ein Studium an der Fachschule für angewandte Kunst Sonneberg aufnimmt. Erst wird sie Spielzeuggestalterin, danach besucht sie die Abendschule an der Dresdner Kunstakademie und studiert schließlich an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee, die sie 1965 mit einem Diplom für baugebundene Kunst verlässt. Seitdem ist sie freiberuflich tätig. Sie malt, zeichnet, collagiert und nimmt zwischen 1974 und 1981 mehrere Auftragsarbeiten für architekturbezogene Wandbilder in öffentlichen Gebäuden an. 

Annemirl Bauer setzt sich zu einer Zeit mit feministischen Positionen auseinander, als der Begriff im Osten noch verpönt ist, bei Frauen wie Männern. Sie thematisiert die Schönheit und Vielgestaltigkeit des Weiblichen genauso wie die Gewalt, der es ausgesetzt gewesen ist, ob es nun die staatliche, die strukturelle oder die männliche Gewalt ist. Aber sie beschönigt auch nicht die Rollen, die Frauen spielen. Ihr Blick auf sie ist nicht unkritisch. 

Drei Monate, bevor im Oktober 1989 das Ende der DDR beginnt, stirbt Annemirl Bauer in Berlin an Krebs, gerade mal fünfzigjährig. 

Annett Gröschner