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Gabriele Stötzer

* 14. April 1953 in Emleben bei Gotha

Text aus dem Katalog zur Ausstellung »Die schaffende Galatea. Frauen sehen Frauen«

Versuche der künstlerischen Selbstbehauptungen unternimmt Gabriele Stötzer seit den frühen 1980er Jahren und bewegt sich dabei an den Schnittstellen von Bildender und Darstellender Kunst sowie der Literatur – dies nicht nur in der Malerei, Bildhauerei, Fotografie oder dem Film, sondern auch in der Performance, Textilkunst, Keramik, Mode, in ihren Künstlerbüchern, Gedichten und ihrem Prosawerk. Ihr vielschichtiges Werk unterstreicht die Bedeutung von Sichtbarmachung und Erfahrbarkeit von Existenz und Identität durch eine körperliche sowie seelische Präsenz in Bild und Text, die gleichsam Ausdruck in künstlerischen Codes sowie Zeichensystemen findet. Stötzers Arbeiten sind gegen tradierte Weiblichkeit und eine vom damaligen System DDR betriebene Auslöschung der individuellen Persönlichkeit gerichtet. Selbst beschreibt sie ihre Kunst „als sinnstiftendes Alternativkonzept gegen den Normen­kanon des Staatssozialismus.“ 1 

Bereits während ihres Studiums der Germanistik und Kunsterziehung an der Pädagogischen Hochschule in Erfurt übertritt Stötzer mit der Unterschrift unter einer Petition gegen die Entlassung eines kritischen Kommilitonen die vom Staat auferlegten Grenzen, worauf Hochschulverweis und „Bewährung“ in der Produktion folgen. Ihre Unterschrift gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns im August 1976 bringt sie dann in Haft, verurteilt zu anderthalb Jahren wegen „Staatsverleumdung“. Ihre künstlerische Kraft, Intensität und ihr Mut begründen sich letztendlich vor allem in den psychischen und physischen Seinserfahrungen, die sie im Frauengefängnis Hoheneck erfahren muss. Nach ihrer Entlassung und einer dreijährigen „Reintegrationsmaßnahme“ in einer Schuhfabrik beginnt mit dem Kauf eines Webstuhls ihr Leben als Künstlerin. Die Kunst und das Schreiben werden zur Überlebensnotwendigkeit. Sie arbeitet multimedial und genreübergreifend und leitet in Erfurt die privat geführte Galerie im Flur bis zu deren Verbot 1981. In den 1980er Jahren avancieren Stötzer und weitere Frauen der Erfurter Künstlerinnengruppe Exterra XX zu den Widerständigen, deren Schaffen „Projektionsfläche wie auch Ort politischer und sozialer Einschreibungen“ bietet. In gemeinsamen Fotoaktionen, experimentellen Super-8-Filmen, Malerei und Perfomances sowie Untergrundausstellungen erheben sie es zu ihrem Prinzip, Themen des eigenen Lebens in künstlerische Formen zu bannen. Dabei setzen sie sich mit einer Welt archaischer und weiblicher Vorstellungen und Bilder auseinander, die in individuellen Wünschen, Fantasien oder konkreten Ängsten ihren Ausdruck findet. Die fotografischen Genderperfomances und Inszenierungen thematisieren nicht nur Verletzlichkeit, sondern richten sich zugleich gegen gesellschaftliche Klischees. Ihre nackten Leiber werden zum Aufbegehren gegen das System, ebenso gegen einen tradierten Kunstbegriff und fordern kompromisslos eine andere weibliche Subjektivität, fern vom sogenannten sozialistischen Frauenbild. 

In Mumie geriert der vollständig in Mullbinden gewickelte Frauenkörper zur Verweigerung gängiger Frauen- und Geschlechterrollen und verharrt am Ende jeglicher Individualität beraubt in völliger Bewegungslosigkeit starr wie eine Untote, die nicht leben, aber auch nicht sterben kann. In dem Tableau Ei geht Stötzer archaischen und ­matriarchalen Symbolen nach – das Ei als Symbol für die Fruchtbarkeit und reproduktive Fähigkeit des weiblichen Körpers. Diese lebensbejahende Metapher wandelt sich im Akt des Zerschlagens zu einem traumatischen Sinnbild der Abtreibung, wie sie unter anderem Gefangene damals erfahren mussten. In den fotografischen Genderperformances und Geschlechterspielen Loch und Schwanz changiert letztendlich die Frau im Akt des Sich-Zur-Schau-Stellens zwischen dem Objekt der Begierde und einer Art ironisierender Persiflage.

Bis heute berühren Stötzers Werke mit der ihnen eigenen Offenheit und Mystik sowie einer grundlegend positiven Kraft sowie Radikalität und sind darin aktueller denn je.

Franziska Schmidt

  • 1) Gabriele Stötzer, zit. n.: Gabriele Stötzer, Schwingungskurve Leben, Klassik Stiftung Weimar 2013, S. 15.