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Johanna Schütz-Wolff

* 10. Juli 1896 in Halle (Saale)
† 30. August 1965 in Söcking bei Starnberg

Text aus dem Katalog zur Ausstellung »Die schaffende Galatea. Frauen sehen Frauen«

Die Textilkünstlerin und Grafikerin Johanna Schütz-Wolff entstammt einer bildungsbürgerlichen Familie. Ihr Vater ist Architekt. Die Eltern fördern die künstlerische Begabung ihrer Tochter. Ihr einflussreichster Lehrer ist Paul Thiersch an der von ihm zur Kunstgewerbeschule reformierten Handwerkerschule der Stadt Halle. Von 1918 bis 1919 ist sie Meisterschülerin bei Fritz Helmuth Ehmcke an der Münchner Kunstgewerbeschule. Ab 1920 leitet sie die eben eingerichtete erste Textilklasse an der halleschen Kunstgewerbeschule. Als fünf Jahre später ihr Mann, der Theologe Paul Schütz, in Schwabendorf bei Marburg eine Pfarrstelle annimmt, folgt sie ihm. Sie widmet sich ihrer Familie, zu der auch die im gleichen Jahr geborene Tochter gehört. In ihrer künstlerischen Arbeit konzentriert sie sich auf das Weben großformatiger Bildteppiche mit figürlichen Motiven von hohem Abstraktionsgrad. 

In der Einsamkeit von Schwabendorf entstehen ihre heute berühmten, von klaren Linien begrenzten, streng flächigen, dem Expressionismus nahestehenden Bildkompositionen. Dafür entwickelt sie eine eigene Variante der Technik des Halbgobelins, bei dem Kette und Schuss sichtbar sind. Fern von gewebten Bildern nach Art der französischen Wandteppiche sind ihre Vorbilder nicht Jean Picart Le Doux, Marc Saint-Saëns oder Jean Lurçat sondern August Macke, Franz Marc und Ernst Ludwig Kirchner. Nicht die Umsetzung eines gemalten Bildes ist Johanna Schütz-Wolffs Ziel, sondern ein mit den Formmitteln der Tapisserie geschaffenes „Web-Bild“.1 Es ist das Anliegen der Künstlerin, mit ihren Bildteppichen „etwas auszusagen über allen Nutzzweck hinaus, auszusagen über den Menschen schlechthin, die Welt, den Kosmos“.2 Bemerkenswert an dieser Aussage ist die dezidierte Gegenüberstellung von Nutzzweck (der Teppich) und Aussage. 

Ihre einzigartigen Bildteppiche bringen frühen Ruhm – und sind doch bald schon vergessen. Als ihr Mann ins Visier der Gestapo gerät, entschließt sie sich, in der Nacht vor einer drohenden Hausdurchsuchung, dreizehn ihrer Teppiche eigenhändig zu zerstören. Sie zerschneidet sie in kleine Stücke. Als das Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg 1954 einen der wenigen erhaltenen frühen Gobelins, das Mädchen mit blauer Schale, erwirbt, schreibt sie einer Freundin, es sei ein Teppich „den ich nicht mehr zerschnitten hatte, weil ich schon solche Blasen von der Schere hatte“.3 Wie real die Bedrohung war, zeigt die Tatsache, dass 1937 ein Gobelin von ihr aus dem Besitz des heutigen Kulturhistorischen ­Museums Magdeburg bei der Aktion Entartete Kunst beschlagnahmt worden war. Sie erfährt davon erst kurz vor ihrem Lebensende.

Nach dem Krieg entstehen weitere Bildteppiche und einige Auftragswerke, darunter auch Glasfenster. Das umfangreiche grafische Werk aus den letzten fünfzehn Jahren ihres Lebens findet weite Verbreitung und verdiente Anerkennung. Es sind Farbholzschnitte und Monotypien, bewegter und farbiger als die frühen Grafiken. Sie sind beeinflusst von der Dominanz abstrakter Kunstformen im westdeutschen Kunstbetrieb der Nachkriegszeit. Stärker als in den Holzstichen der 1920er Jahre sucht sie jetzt nach größerer Vereinfachung der Form, ohne dabei den Gegenstand gänzlich aufzugeben. Johanna Schütz-Wolffs zentrales Thema ist Mensch und Natur, häufig versinnbildlicht durch die Darstellung der Frau und Mutter als Liebende, Schützende, Bewahrende. Das geschieht ganz ohne die Absicht, dem androzentrischen Kunstbetrieb der Zeit ihren weiblichen Blick entgegenzuhalten. Doch lässt sich in ihren Bildern ein von gesellschaftlichen Zwängen befreiter weiblicher Lebensentwurf lesen. In ihren späten Jahren stützt sie ihn mit religiösen Bildmotiven. 

Johanna Schütz-Wolff gehört zur ersten Generation von Frauen, denen – wenn auch noch nicht an den Akademien, so doch an den Handwerker- und Kunstgewerbeschulen – eine professionelle künstlerische Ausbildung möglich ist. Nicht nur an der Burg Giebichenstein in Halle oder am Bauhaus in Weimar werden Frauen in die Klassen für kunstgewerbliche Frauenarbeiten und nach deren Auflösung in die Weberei genötigt. Für Johanna Schütz-Wolff erweist sich das durchaus als Glücksfall – am Webstuhl entfaltet sich ihre schöpferische Kraft.4 Ihre hier entwickelten Kompositionsprinzipien und die an Gewebe erinnernden Texturen finden sich in ihren späten Druckgrafiken wieder.

Dr. Renate Luckner-Bien

  • 1) Vgl. Katja Schneider: „Heiligenbilder in einer unheiligen Zeit“. Die Bildteppiche von Johanna Schütz-Wolff in den dreißiger Jahren, in: Johanna Schütz-Wolff. Textil und Grafik. Zum 100. Geburtstag. Staatliche Galerie Moritzburg Halle (Hg.) Halle 1996, S. 27
  • 2) Johanna Schütz-Wolff: Über das Material beim Bildteppich. Vortragsmanuskript, um 1950, zit. nach: Katja Schneider: „Heiligenbilder in einer unheiligen Zeit“. Die Bildteppiche von Johanna Schütz-Wolff in den dreißiger Jahren, in: Johanna Schütz-Wolff. Textil und Grafik, wie Anm. 1, S. 293
  • 3) Johanna Schütz-Wolff an Lili Schultz, 26.05.1954, zit. nach: Johanna Schütz-Wolff. Textil und Grafik, wie Anm. 1, S. 126
  • 4) Vgl. Ludwig Grote: Eröffnungsrede der Gedächtnisausstellung im Kunstverein München 1969, zit. nach: Katja Schneider: Einführung, in: Johanna Schütz-Wolff. Textil und Grafik, wie Anm. 1, S. 9