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Marianne von Werefkin

* 29. August (Julianischer Kalender) bzw. 11. September (Gregorianischer Kalender) 1860 in Tula (Russland)
† 6. Februar 1938 in Ascona (Schweiz)

Text aus dem Katalog zur Ausstellung »Die schaffende Galatea. Frauen sehen Frauen«

Lange ist sie stiefmütterlich behandelt worden: Marianne von Werefkin, die als Marianna Wladimirowna Werjowkina in eine reiche russische Adelsfamilie hineingeboren wird, nach frühen Erfolgen als Malerin 1896 in den Westen geht, hier künstlerisch neu anfängt und in der Schweiz in Armut sterben wird. Erst vor allem die Forschungen und das Engagement Bernd Fäthkes werden ab den späten 1980er Jahren zu einer gerechteren Würdigung dieser Frau führen, die mit ihrem scharfen analytischen Verstand, ihren kunsttheoretischen Einsichten und ihrer künstlerischen Schöpferkraft im München des frühen 20. Jahrhunderts für den Expressionismus des „Blauen Reiters“ eine wegweisende Rolle gespielt hat. Seit 1990 hält auch der Marianne Werefkin-Preis, den der ­Verein der Berliner Künstlerinnen 1867 alle zwei Jahre an zeitgenössische Künstlerinnen vergibt, ihr Andenken wach.

Ihr legendärer rosafarbener Salon in der Münchener Giselastraße ist ein Kraftzentrum, in dem Impulse der internationalen Avantgarde aufgenommen, diskutiert und verarbeitet werden. Sie selbst, von der nach dem Urteil eines zeitgenössischen Beobachters (Gustav Pauli) die Kraftwellen fast physisch spürbar ausgehen, gibt entscheidende Anregungen. Franz Marc verdankt ihr die Einsicht in den Eigenwert und die formbestimmende Kraft der Farbe, und sie unterstützt Wassily Kandinskys Weg zur Abstraktion, auch wenn sie ihn selbst nicht gehen mag. Diese charakterstarke, eigenwilllige Frau, die an die Kunst mit geradezu religiöser Inbrunst glaubt und nach einem Ausdruck für die unveränderliche Welt der Wahrheit sucht, hat auch etwas von einem Pygmalion. Alexej von Jawlensky, ihr Lebensgefährte, bis die Beziehung der beiden 1922 endgültig zerbricht, wird von ihr gefördert und geradezu vorangetrieben. Einem frühen Tagebucheintrag zufolge will sie in ihm ihre andere Hälfte erschaffen, denn die Frau sei im tiefsten unschöpferisch, das Genie sei stets männlich. Ein Vorurteil ihrer Zeit. Jedoch ihr Werk widerlegt es aufs Schönste. Noch bevor Alexej von Jawlensky, Wassily Kandinsky, Gabriele Münter und Franz Marc expressionistische Bilder malen, tut sie es. Das vielbesprochene „Wunder von Murnau“ im Sommer 1908, in dem Kandinsky und Münter beim gemeinsamen Malen mit ihr und Jawlensky zum eigenen Stil vorstoßen und der Expressionismus des „Blauen Reiters“ Gestalt annimmt, ist ohne sie zumindest so wohl nicht denkbar.

Das Blatt Frauen stammt aus jener Zeit. Ein Schnappschuss gleichsam: Zwei Frauen in Morgenmänteln, von fließenden Linien definiert, stehen einander im Gespräch gegenüber. Der Mantel der einen bauscht sich, als habe sie ihn im Herbeieilen gerade übergeworfen. Aus der ansonsten dominierenden Flächigkeit des Bildes heraustretend, verstärkt er den Eindruck des Bewegten. Ansonsten gibt das Bild Rätsel auf. Was mag die beiden miteinander verbinden? Die in Vorderansicht gegebene Figur schaut ausschließlich auf ihr Gegenüber, ihre nur angedeutete Mimik könnte skeptische Neugierde ausdrücken. Geschult an französischen Vorbildern wie Toulouse-Lautrec und japanischen Farbholzschnitten, hat Marianne von Werefkin mit großer Ökonomie der Mittel dieses Blatt geschaffen. Linien und Farben korrespondieren miteinander, die Umrisslinien der linken bzw. der rechten Körperseite der beiden Figuren oder der rötliche Ton der Haare und der Karos bzw. der Linien auf den Morgenmänteln.

Angesichts des neutralen, zweigeteilten Hintergrundes und des gerafften Vorhangs am linken Bildrand kann man an eine Bühne denken, auf der die Szene sich abspielt. In der Tat hat Marianne von Werefkin ein Gespür fürs Theater. Sie ist mit Djagilew bekannt, der mit seinem Ballets Russes international Furore macht. Alexander Sacharoff, einer der Begründer des Ausdruckstanzes, wird von ihr oft porträtiert, u. a. in japanischem Kostüm und der exaltierten Pose eines Kabuki-Schauspielers. Das Dramatische ist ein Grundzug ihres Werkes wie auch ihres Lebens. In den Frauen freilich erscheint es eher lakonisch formuliert. Vielleicht ist es auch das, was das Blatt so lebendig macht.

Christoph Sorger