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Renée Sintenis

* 20. März 1888 in Glatz, Schlesien (heute Klodzko, Polen)
† 22. April 1965 in Berlin

Text aus dem Katalog zur Ausstellung »Die schaffende Galatea. Frauen sehen Frauen«

Renate Alice, die sich später Renée nennen wird, erhält bereits als Kind privaten Zeichenunterricht, ansonsten streift sie stundenlang durch die freie Natur und hält sich am liebsten im Pferdestall auf. Als Neunzehnjährige beginnt sie 1907 ein Studium an der Unterrichtsanstalt des Kunstgewerbemuseums Berlin, ihre künstlerischen Ambitionen werden jedoch aus finanziellen Gründen von ihrem Vater unterbunden, der sie als Sekretärin in seinem Anwaltsbüro anstellt. Die verhasste Tätigkeit führt schließlich zum Bruch mit der Familie. 1910 steht sie Georg Kolbe für die nicht mehr erhaltene überlebensgroße Aktfigur ­Frauenstatue Modell und ist von dessen freier Arbeitsweise tief beeindruckt. Die Be­geisterung führt zu ersten bildhauerischen Arbeiten, darunter kleine Frauenstatuetten, die sie in der angesehenen Künstlergruppe der Berliner Secession und später in der renommierten Kunsthalle Mannheim zeigt. Es folgen weitere Ausstellungsbeteiligungen und rasch entwickelt sie sich zur Hauptprotagonistin im Kunstkreis um Alfred Flechtheim, der sie nach Gurlitt ab 1921 als Galerist vertritt und überaus engagiert als eine Art Paradekünstlerin fördert. Sie bewegt sich in der Berliner Bohème in einem gut funktionierenden Netzwerk aus Kunstschaffenden und Intellektuellen und wird von Sammlern gleichermaßen hoch geschätzt wie von Kollegen. Als zweite Frau nach Käthe Kollwitz und erste im Fach Bildhauerei wird sie 1931 an die Akademie der Künste in Berlin berufen, wo sie bis zu ihrem, von den Nationalsozialisten erzwungenen Ausstritt aufgrund ihrer jüdischen Wurzeln, bis 1934 lehrt. Zwar wird sie als „Vierteljüdin“ nicht verfolgt, dennoch erleidet sie schwere Einbußen. In den 1950er und 1960er Jahren ist sie erneut sehr erfolgreich, was sie vor allem ihren zahlreichen Bären-Darstellungen, unter anderem für die Berliner Stadtregierung und die Berliner Festspiele, verdankt. 

Ihre größten künstlerischen Erfolge feiert Sintenis zweifelsfrei mit ihren Tierfiguren. Dies mag nicht verwundern, hat sie doch seit ihrer Kindheit eine besondere Beziehung zu Tieren und fühlt sich nach eigener Aussage den Tieren näher als den Menschen. Sie besitzt selbst ein Pferd und zwei Hunde, die ihr immer wieder als Modell dienen. Gleichzeitig gibt ihr die zumeist kleinformatige Tierplastik die Möglichkeit der freien Gestaltung nach ihren eigenen Vorstellungen. Nicht ganz außer Acht gelassen werden darf außerdem die Tatsache, dass es sich hier um eine Art Nische bei Bildhauerinnen ihrer Generation handelt und Kleinformate gerade noch dem entsprechen, was man Frauen zutraut, ohne dass sie in Konkurrenz mit den männlichen Kollegen treten müssen. Das Repertoire der Bildhauerin umfasst zudem eine Vielzahl von Knabenfiguren und Sportstatuetten sowie zahlreiche Porträtbüsten, die vor allem männliche Freunde und Mitglieder des Kreises um Flechtheim zeigen. Frauendarstellungen spielen, abgesehen von den frühen weiblichen Aktfiguren und den verschiedenen Versionen ihrer berühmten Daphne, in ihrem Werk eine eher untergeordnete Rolle. Bemerkenswert ist jedoch die beachtliche Anzahl von insgesamt acht Selbstporträts, die sie zwischen 1916 bis 1944 von sich anfertigt und für die sie aufgrund der perfekten Balance zwischen psychologischer und physiognomischer Wiedergabe große Anerkennung erhält. Das Porträt aus dem Kolbe Museum entsteht 1923 und zeigt die Künstlerin im Alter von 36 Jahren in der Hochphase ihres künstlerischen Schaffens. Sintenis ungewöhnliche und androgyne Erscheinung in dieser Zeit übt in der Tat auf viele ihrer Zeitgenossen eine besondere Faszination aus. Mit 1,80 Metern Körpergröße ist sie nicht nur überdurchschnittlich groß und überragt die meisten Männer, sie zeigt sich auch häufig im Hosenanzug, trägt einen auffallenden Kurzhaarschnitt und verkörpert als eine der meistfotografierten Frauen der Weimarer Republik den Typus der sogenannten „Neuen Frau“ par excellence. 

Kerstin Reen