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Rosemarie Rataiczyk

* 18. März 1930 in Halle (Saale)

Text aus dem Katalog zur Ausstellung »Die schaffende Galatea. Frauen sehen Frauen«

Die Szenerie mutet sommerlich gelöst an. Vor gelblichem Hintergrund erscheinen die Tische eines Gartenlokals, in dem anscheinend vorzugsweise Frauen zu Gast sind, Erfrischungen zu sich nehmen und sich miteinander unterhalten. Die beiden Tische im Vordergrund sind mit jeweils zwei Frauen besetzt, drei Figuren gruppieren sich um einen weiteren Tisch im Hintergrund. Die beiden Blätter Rosemarie Rataiczyks aus dem Jahren 1947 / 48 variieren sichtlich dieselbe Bildidee. Erweckt die nur mit der Rohrfeder geschaffene Arbeit mit ihrem Detailreichtum den Eindruck, sie sei ein wenig überfüllt und auch etwas episodisch – am linken unteren Bildrand füttert ein knieender oder hockender Mann ein Hündchen –, so wirkt die zweite, aquarellierte Rohrfederzeichnung zugleich lockerer und konzentrierter. Entbehrliche Elemente sind weggelassen, an Stelle des Mannes mit dem Hündchen ist nun ein weiterer, mit zwei Personen besetzter Tisch zu sehen. Zugleich hat das Blatt an Dynamik gewonnen, vermittelt durch den von rechts herbeieilenden Kellner, der mit seiner dunklen Gewandung zugleich die vorwiegend hellen, fein nuancierten Gelb-, Grün und Rottöne wirkungsvoll ausbalanciert, die vor allem in der linken Bildhälfte reizvolle Akzente setzen. 

Friedliche Impressionen drei Jahre nach dem Ende eines verheerenden Krieges, dessen Wunden noch längst nicht vernarbt sind. Sitzen vielleicht deshalb fast nur Frauen im Kaffeegarten, weil so viele Männer gefallen sind oder sich noch in Kriegsgefangenschaft befinden? Die junge Frau – damals noch Rosemarie Rost –, die diese freundlichen und etwas augenzwinkernden Impressionen zu Papier bringt, studiert seit rund einem Jahr an der Kunstschule Burg Giebichenstein im heimatlichen Halle, zunächst Buchgrafik, dann Malerei und Grafik, im letzten Studienjahr befasst sie sich mit Bildweben und beginnt eigenständige Webversuche. Der mühevolle Aufbau einer Gobelinwerkstatt gemeinsam mit ihrem Mann, dem Maler und Grafiker Werner Rataiczyk, den sie 1952 heiraten wird, die Geburt der beiden Kinder, die vielen Bildteppiche, die in der Werkstatt in der Talstraße entstehen – häufig, aber nicht immer nach Kartons, die ihr Mann zeichnet – und die ihrer beider Namen überregional und auch international bekannt machen, nicht zuletzt auch die Entfaltung des eigenen malerischen Werks – das alles liegt da noch in der Zukunft.

Frauen und Mädchen, auf den beiden Blättern von 1948 in einer so alltäglichen wie entstpannten Situation eingefangen, spielen in Rosemarie Rataiczyks Werk nicht eben eine herausgehobene Rolle. Wenn sie auf den Bildteppichen erscheinen, neben männlichen Figuren oder auch allein, dann eher als Träger einer im weitesten Sinne allegorischen Bedeutung und nicht selten in mehr oder weniger stark abstrahierter Form. Auch in ihrem malerischen Werk, das lange zu Unrecht im Schatten ihres Schaffens als Gobelin-Gestalterin stand, erscheinen sie nicht prominent, sondern integriert in Landschaften, Gärten, Szenerien. Daneben aber gibt es Arbeiten wie die beiden Aquarelle aus den Jahren 1956 und 1957, die die Betrachter einem menschlichen Sein gegenüberstellen in einer Form, die ein Ausweichen nicht gestattet. Die Frontalität dieser Mädchenbildnisse und die Intensität des Blicks, der aus dem Bild heraus und am Betrachter vorbei gerichtet ist – oder durch ihn hindurch – und der sich von der idealen raumlosen Bildfläche abhebende Kopf erinnern an ägyptische Mumienporträts und kaiserzeitlich-römische Totenbildnisse, von denen sich Ikonen und Andachtsbilder herleiten und die letztlich am Anfang unserer Porträt-Tradition überhaupt stehen. Bei aller Formstrenge haben sie zugleich etwas Anrührendes, Verletzliches. Rosemarie Rataiczyks rare Porträtkunst ist durchaus noch zu entdecken. 

Christoph Sorger