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Sarah Haffner

* 27. Februar 1940 in Cambridge
† 11. März 2018 in Dresden

Text aus dem Katalog zur Ausstellung »Die schaffende Galatea. Frauen sehen Frauen«

Sarah Haffner ist eine selbstbewusste, politisch und sozial engagierte Frau und zudem eine großartige Malerin. Ihre realistischen, meist melancholisch wirkenden Bilder, die ich erstmals 2015 bei einem Besuch in ihrer Altberliner Wohnung in der Uhlandstraße 168 sehe, hinterlassen einen überwältigenden Eindruck. An einem Novembertag zur „Tea Time“ unterhalten wir uns über ihre Malerei und gemeinsame Bekannte, zu denen u. a. Andreas Brandt – der Vater ihres Sohnes David –, Bernhard Boës, Hermann und Gisela Bachmann gehören, sowie über Jochen Seidel und Stephan Stolze. Diese bildenden Künstler haben nach und nach in den fünfziger Jahren die Saalestadt Halle und damit die DDR verlassen.

Während des anregenden Gespräches klingelt das Telefon. Der Anrufer will Erkundungen zum schriftlichen Nachlass ihres Vaters einholen. Sebastian Haffner, mit bürgerlichem Namen Raimund Pretzel (1907–1999), ist ein international bekannter Journalist und Schriftsteller. Seine Bücher, darunter historische Bestseller, stehen in den hohen Regalen im Flur von Sarahs Wohnung. Zwischen den vielen Büchern und ihren Bildern fühlt sie sich zu Hause. Die Gegenstände in der Wohnung bieten ihr jahrelang Anregungen zum Malen. Bis Ende der Siebziger entsteht eine Reihe von Bildern, die durch die „Poesie der Banalität“ 1 einen intimen Einblick in ihr Privatleben bieten.

In der Metropole Berlin empfindet sie sich dagegen als Außenseiterin. Und so verwundert es nicht, dass sie das Fenster als Metapher zwischen der Innen- und Außenwelt in ihrer Malerei thematisiert. Seit 1963 malt sie immer wieder Fensterbilder, daneben Porträts und Köpfe, die allgemeine Stimmungslagen widerspiegeln, Landschaften, Grabsteine in der romantischen Stille eines jüdischen Friedhofs, tektonisch gebaute Stadtbilder mit Brandmauern und S-Bahn bei unterschiedlichem Wetter, in jeder Tages- und Jahreszeit. Von allen Bildern geht eine zurückhaltende Intensität aus, die sich aus der expressiven Farbigkeit mit einer Vorliebe für Blautöne sowie aus dem Gegensatz zwischen der Formenstrenge und der Tiefe des Gefühls ergibt.

Sarah Haffner beherrscht neben der Malerei und dem Siebdruck, dessen Technik sie in der Druckwerkstatt Bethanien erlernt, wie ihr Vater die Kunst des Schreibens. Den ersten Text, den ich von ihr lese, ist das Nachwort zu Stephan Stolzes Erinnerungsbuch Nachkriegsjahre, das uns durch drei Deutschlands führt – der Nazis, der frühen DDR und schließlich West-Berlin, wo sich Haffner und Stolze 1958 als Studierende an der Hochschule für bildende Künste in Berlin-Charlottenburg begegnen.

Nach der Jahrtausendwende erscheint ihre Autobiographie unter dem Titel Eine andere Farbe. Geschichten aus meinem Leben, die ebenso als zeitgeschichtliches Dokument lesenswert ist. Darin erfährt man auch mehr über ihre Mutter Erika (geb. Schmidt-Landry, 1899–1969). Als Jüdin emigriert sie mit ihrem Ehemann Sebastian Haffner 1938 nach England (Cambridge). Sarah wird hier zwei Jahre später geboren, wächst in London auf und zieht 1954 mit der Familie nach Deutschland. Nach ihrem Kunststudium bei Ernst Schumacher ist sie – abgesehen von temporären Aufenthalten in Paris und London – als Malerin, Autorin und Dozentin in Berlin tätig. Daneben engagiert sie sich im 1976 eröffneten Berliner Frauenhaus und für misshandelte Frauen, was bis dahin ein Tabuthema ist.

Im Bild Alte Frau am Fenster von 1978 ist dieses Thema nicht direkt zu erkennen. Es sagt dennoch viel über die reichen Lebenserfahrungen einer Greisin aus, die auch nach dem Zweiten Weltkrieg viel Elend sowie Unrecht gesehen und erlebt hat.

Dr. Dorit Litt

  • 1) Sarah Haffner: Eine andere Farbe. Geschichten aus meinem Leben. Fischer Taschenbuch Verlag , Frankfurt am Main 2003, S. 123.