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Jeanne Mammen

* 21. November 1890 in Berlin
† 22. April 1976 in Berlin

Text aus dem Katalog zur Ausstellung »Die schaffende Galatea. Frauen sehen Frauen«

Als Chronistin der Weimarer Republik dokumentiert sie den Vergnügungsrausch der Goldenen Zwanziger – und die zunehmende Befreiung der „Neuen Frau“ aus dem engen Korsett gesellschaftlicher Fremdbestimmtheit. Gertrud Johanna Louise Mammen, genannt Jeanne, wird 1890 in Berlin als jüngstes Kind einer wohlhabenden Kaufmannsfamilie von kosmopolitischer Offenheit geboren und besucht die renommiertesten Kunstschulen in Paris, Brüssel und Rom. Bereits in ihrem symbolistischen Frühwerk entwickelt sie eine sozialkritische Haltung, die ihr gesamtes Schaffen kennzeichnen soll. Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs zwingt die zuvor enteignete Familie zur Flucht aus Paris. Zurück in ihrer Geburtsstadt, arbeitet Mammen erst als Modezeichnerin und später als Illustratorin für Magazine wie die satirische Wochenzeitschrift Simplicissimus.

Als mit dem Wirtschaftsaufschwung auch das Treiben in den Straßencafés, Varietés, Kabaretts und Hinterhofbordellen zu prosperieren beginnt, stürzte sich die Künstlerin mitten hinein ins wilde Großstadtleben. Zwischen hedonistischem Strudel und sozialem Elend spürt sie die Protagonistinnen ihrer berühmten Gesellschaftsszenen auf: Die emanzipierten Garçonnes sind weitgehend unabhängig und frei. Sie wissen ihr eigenes Geld zu verdienen – und investieren es in dramatische Auftritte. Endlose Zigarettenspitzen, kurze Bubiköpfe, weite Kleider und mondäne Accessoires betonen das gewachsene Selbstbewusstsein, dominieren die Presse und Kinoleinwände sowie auch Mammens Zeichnungen und Aquarelle dieser Zeit, die Cover und Geschichten der Illustrierten zieren.

Doch der Blick reicht in zweierlei Hinsicht über das medial vermittelte Wunschbild weiblicher Modernität hinaus: Dank ihrer besonderen Vorliebe für das Extravagante gelangen mit Revuegirls, Travestiekünstlern und Prostituierten auch die Königinnen der Nacht in den Fokus der Künstlerin. Andererseits verwirft sie jenseits der schrillen Übertreibung das etablierte Schönheitsideal von der erstarkten Frau: Mit dem Grafikzyklus Les chansons des Bilitis des französischen Lyrikers Pierre Louÿs illustrierte sie das homosexuelle Liebesleben einer Kurtisane und schafft eine Hommage an den weiblichen Körper in seiner natürlichen Verletzlichkeit und ganzen Würde, als würde sie ihm mit ihrer sanften Linie jegliche auferlegte Rolle abstreifen wollen.

Scharfsinn und Einfühlungsvermögen verdichten sich unter Mammens spitzer Feder zu einem kritischen und stellenweise grotesk überzeichneten Gesellschaftsbild, mit dem sie, wie Otto Dix, vor allem dem veristischen Flügel der Neuen Sachlichkeit nahesteht. „Ihre Figuren fassen sich sauber an, sie sind anmutig und herb dabei, und sie springen mit Haut und Haaren aus dem Papier“, schwärmt Kurt Tucholsky 1929. Ein Jahr später zeigt Fritz Gurlitt ihre erste Einzelausstellung.
Die Machtergreifung der Nazis zwingt die aufstrebende Künstlerin jedoch in die innere Emigration. Malerisch findet sie Zuflucht im Sehnsuchtsort ihrer Pariser Kindheit und Jugend, entwickelt ein kubistisches Farb- und Formenvokabular, das ihr den Beinamen „Madame Picasso“ verleihen soll. 

Parallel zieht sie sich in ein Studio zurück und fertigt eine Serie von Porträts an, Zeichnungen gleichen Formats und Papiers, von hartem Strich und reduzierter Farbigkeit, wie vier von ihnen ­exemplarisch in der Ausstellung zeigen. Weib­lichkeit und Attraktivität verstecken sich hinter seltsamen, kantig verzerrten Mienen. Neben ­Köpfen und Brustbildern finden sich zahlreiche Bildnisse von Zeichnerinnen. Vor diesem Hintergrund mag es erstaunen, wie selten sich die Künstlerin selbst zum Gegenstand ihrer Arbeit macht. Kann die sitzende Frau, vertieft in ihr musisches Werk, als relationale Autografie verstanden werden (Sabine Mainberger)? Immerhin scheinen sich ihre reich facettierte Persönlichkeit, ihr kritisch geöffneter Blick auf ihre Zeit und ihr ebenso umfangreiches wie vielschichtiges Œuvre gegenseitig zu bedingen. Da scheint es nur allzu verführerisch, sich gar zu dem Gedanken hinreißen zu lassen, Jeanne Mammen ließe sich in der Gesamtheit all ihrer Frauenbilder wiederfinden. 

Katharina Lorenz