Vor genau 75 Jahren wurde erstmalig ein Werk von Alexander Camaro von einem Museum erworben – von keinem geringerem als dem Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale). 1947/48 stand der damalige Direktor des Museums, Gerhard Händler, vor der schwierigen Aufgabe eine neue Moderne-Kunstsammlung aufbauen nachdem die erste 1937 durch die Nationalsozialisten beschlagnahmt worden war. Auffällig ist, dass die neue Kollektion eine ganz eigene melancholische Grundstimmung hatte.
Melancholie ist ein Gemütszustand angesiedelt irgendwo zwischen Traurigkeit und Träumerei. Pop, Jazz oder Klassik können entweder melancholisch klingen oder sind aus einem Übergang der Melancholie in Aufbruch und Lebensfreude entstanden. Wohin man hört – Blues, Fado, Chanson oder auch in russischen Liedern – die Stimmung ist Melancholie. Sie kommt und geht und ist etwas vom Schöneren im Leben – etwas, was kreativ machen kann.
Der Maler Alexander Camaro (geb. 1901 in Breslau 1901, gest. 1992 in Berlin) galt bis in die 1980er Jahre mit seiner zwischen figürlich und abstrakt-informell wechselnder Bildgestaltung als einer der bedeutendsten deutschen Nachkriegskünstler, bevor sein Werk aus der Wahrnehmung geriet. Neben seiner Ausbildung als Maler an der Staatlichen Akademie für Kunst und Kunstgewerbe in Breslau, unter anderem bei Otto Mueller, war er ausgebildeter Hochseilartist, Ausdruckstänzer und Musiker. Themen wie Zirkus, Varieté, Bühne und Theater, die seine damalige Lebenswelt darstellten, blieben Zeit seines Lebens Schlüsselmotive seines bildnerischen Werks. Camaro wurde immer wieder als großer Melancholiker bezeichnet, sein Schaffen als seltener Sonderfall betrachtet. Im westlichen Nachkriegsstaat blieb er mit seinen gegenstandsbezogenen Bildern in den Augen der Kunstkritik eine „interessante Ausnahme, ein distinguiertes Überbleibsel“ (Anthony Thwaites, 1961) der Zwischenkriegsmoderne. Auch innerhalb des kulturpolitischen Bewertungsschemas der Sowjetischen Besatzungszone, wo man ab 1948 offiziell eine sozialistisch-realistische Kunst etablieren wollte, fiel Camaro durch das Raster. Dennoch erwarb das Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale) bereits im Jahr 1947 Gemälde von Alexander Camaro.
Durch den Erwerb weiterer Werke u.a. von Horst Strempel, Werner Heldt, Curt Lahs und Karl Hofer entstand eine Sammlung, die das Kunstschaffen in der Saalestadt maßgeblich beeinflusste. Geprägt war diese durch eine ganz besondere Stimmung, die durch das Wirken von Galeristen wie Eduard Henning, Herbert Rüger oder Albert Neubert verstärkt wurde, die zeitgleich Arbeiten von Karl Hofer, Hermann Bachmann und Ulrich Knispel und vielen anderen in ihren Galerieräumen zeigten, während Wilhelm Worringer als einer der renommiertesten deutschen Kunsthistoriker an der hiesigen Universität lehrte. Grenzüberschreitend herrschte
so in Halle (Saale) für kurze Zeit ein Klima der künstlerischen Freiheit und Selbstbestimmung, welches deutschlandweit ausstrahlte, lange Zeit nachwirkte und Generationen prägte, bevor dieser Aufbruch mit Beginn der Formalismus-Debatte ab 1949 schnell wieder ein Ende fand.
Dieser besonderen Stimmung geht die Ausstellung in der Kunsthalle “Talstrasse“ nach, indem sie Werke von Alexander Camaro in den Mittelpunkt rückt und ihm Arbeiten ausgewählter Zeitgenossen und Seelenverwandter aus Berlin und Halle (Saale) zur Seite stellt. Dabei sind weder Kategorien der Formalismus-Debatte, Herkunft oder politische Implikationen entscheidend, sondern ein besonderes melancholische Kolorit einer zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit schwebenden Malerei.
Zur Ausstellung erscheint ein Katalog mit Textbeiträgen von Dr. Dorit Litt (Bonn), Dr. Anna Krüger (Berlin), Dr. Eckhard Gillen (Berlin), Dr. Ingo Brunzlow (Berlin), Thomas Bauer-Friedrich (Halle/Saale) und Matthias Marx (Saarbrücken).
Beitragsbild: Großer Harlekin, 1956, Öl auf Leinwand, 200 x 160 cm © Alexander und Renata Camaro Stiftung / VG Bild-Kunst, Bonn 2023, Foto: Eric Tschernow
Eine Ausstellung in Kooperation mit der:
WIR DANKEN UNSERER FÖRDERFAMILIE