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Cornelia Schleime

* 4. Juli 1953 in Berlin (Ost)

Text aus dem Katalog zur Ausstellung »Die schaffende Galatea. Frauen sehen Frauen«

Cornelia Schleimes vielfach preisgekröntes Werk (u. a. 2003 Gabriele Münter Preis), das sie in den Medien Malerei und Zeichnung, Performance, Film bzw. Fotografie und Literatur geschaffen hat, lässt sich als eine Lektion in Eigensinn begreifen. Das gilt auch für ihre Biographie. Sie macht eine Friseurlehre, weil sie Maskenbildnerei an der Fachschule der Dresdener Hochschule für Bildende Künste (HfBK) studieren will, bricht das Studium aber nach zwei Jahren ab, weil sie Malerei und Grafik studieren will, muss ein Jahr auf den Studienbeginn an der HfBK warten und lässt sich in der Zwischenzeit zur Pferdepflegerin ausbilden. Engagiert sich dann als Studentin in der von den DDR-Behörden misstrauisch beäugten alternativen Kunstszene in Dresden und später in Berlin. Singt in einer Punk-Band, dreht Super-8-Filme, die u. a. das Bedrückende der späten DDR in lesbare Metaphern bannen, inszeniert und dokumentiert Aktionen und erhält 1981, ein Jahr nach ihrem Diplom, Ausstellungsverbot. Nach mehreren Ausreiseanträgen darf sie 1984 nach West-Berlin ziehen. Fast ihr gesamtes bis dahin geschaffenes Werk muss zurückbleiben. Bis heute ist es spurlos verschwunden. Das Ausmaß der Bespitzelung, der sie ausgesetzt war, soll sie erst nach dem Ende der DDR erfahren und 1993 in einer Serie mit dem sarkastischen Titel Auf weitere gute Zusammenarbeit, Nr. 7284/85 künstlerisch verarbeiten. 

Im Westen: Freiheit – Cornelia Schleime reist gern und ausgiebig, was sich in vielen Reisetagebüchern niederschlägt –, und ein Kunstmarkt, auf dem, wie sie 2006 formuliert, nicht mehr der Werkcharakter zählt, sondern der Punktauftritt des Künstlers, wodurch es in der Kunst kaum noch einen Unterschied zur eigentlichen Warenproduktion gibt. Eigensinnig verweigert sie sich auch den Marktmechanismen, soweit das eben geht, und den gerade Geltung habenden intellektuellen Moden. Kunst – und das gilt für ihre bildnerischen Arbeiten ebenso wie für ihre literarischen Texte – entsteht letztlich aus unbewussten Impulsen, der Beginn ist jedesmal eine gleichsam unwillkürliche Bewegung, wie das berühmte automatische Schreiben der Surrealisten. Von den „zauberhaft improvisierten, luftigen und flüchtigen Figurinen ihrer Aquarelle und Tuschzeichnungen“ – von diesem Duktus zeugen auch die in der Ausstellung gezeigten Arbeiten Styx (1987) und o.T. (1988) – geht die Entwicklung „zur Auseinandersetzung mit Wahrnehmungen von Wahrnehmung und Bedingungen von Wahrnehmung“ (Eckart Gillen) 1. Das bedeutet Dekonstruktion des Scheins und auch gezielte Provokation – etwa das Hervorkitzeln und damit Bloßstellen voyeuristischer Attitüden im Betrachter in den auf Papyrus getuschten Arbeiten der Serie Leibeslust aus den frühen 2000er Jahren, die Darstellungsmuster der Pornographie durch künstlerische Überhöhung verfremden. Seit Mitte der 1990er Jahre malt Cornelia Schleime Bildnisse, die Bilder nach Bildern sind oder sein könnten, aus der Werbung, dem Kino oder dem Fundus privater Erinnerungsfotos. Im Unterschied zur Pop-Art aber kommt es ihr wohl nicht so sehr auf das Herausstellen des Kunstwerks im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit á la Walter Benjamin und seine paradoxe Re-Auratisierung an. Ihr geht es eher um Zuspitzung des Inszenierten der realen oder fiktiven Vorlage, um eine Vertiefung des Assoziationsraums durch die malerische Behandlung, um das Sichtbarmachen emotionaler Aufladungen. Das Bild o.T. von 1995 könnte nach einem Foto entstanden sein, das anlässlich der Erstkommunion des dargestellten Mädchens aufgenommen wurde. Cornelia Schleime selbst ist katholisch aufgewachsen, aber aus der Kirche ausgetreten. Sie hat sie paradox erlebt: einerseits bedrückend, aber „die Reinigung nach der Beichte empfand ich als wohltuend“ 2. Das Kind mit dem trotzigen Blick, das auf dem Bild neben der eher traurig dreinschauenden älteren Frau in Positur steht, hebt sich durch sein weißes Kleid und die einen Heiligenschein assoziierende weiße Zone hinter seinem Kopf von den Brauntönen ab, die das Bild dominieren. Ahnt es einen Zwiespalt? Eindeutigkeiten sind bei Cornelia Schleime nicht zu haben. Dafür aber setzt sie in denen, die sich ihren Bildern aussetzen, etwas in Bewegung.

Christoph Sorger

  • 1) Cornelia Schleime, Von Angesicht zu Angesicht. Hrsg. Galerie Michael Schultz, Berlin 2002
  • 2) http://www.cornelia-schleime.de/text/interview-mit-der-künstlerin-christiane-bühling-2003