10. Juli 2019
Elfriede Lohse-Wächtler
* 4. Dezember 1899 in Dresden
† 31. Juli 1940 in Pirna-Sonnenstein (Landes-Heil- und Pflegeanstalt)
Text aus dem Katalog zur Ausstellung »Die schaffende Galatea. Frauen sehen Frauen«
Vom Leben und Werk Elfriede Lohse-Wächtlers ist trotz zahlreicher Ausstellungsbeteiligungen zwischen 1928 und 1932, zum Teil enthusiastischer Pressereaktionen und vereinzelter Erwerbungen durch Museen zu Lebzeiten wenig bekannt. Erst 1994 erscheint eine umfangreiche Monographie, die das Interesse an ihrem Werk neu weckt.
Anna Frieda Wächtler wird am 4. Dezember 1899 in Dresden-Löbtau geboren. Der Vater drängt das heranwachsende Mädchen, sich mit der Bühnenbildnerei und dem Kostümentwurf auseinanderzusetzen, doch Elfriede, wie sie sich selber nennt, widersetzt sich und malt. Im Herbst 1915 beginnt sie ein Studium für „Mode und weibliche Handarbeiten“ an der Dresdner Königlichen Kunstgewerbeschule und wechselt rasch in die Klasse für Angewandte Grafik. Wegen heftiger Auseinandersetzungen mit ihrem Vater verlässt sie bereits 1916 das elterliche Haus und bezieht ein Zimmer in der Dresdner Innenstadt.
Hier ist Londa Freiin von Berg, die spätere Frau von Conrad Felixmüller, ihre Nachbarin. Durch sie bekommt sie Kontakt zum Freundeskreis der Dresdner Sezessionisten, unter ihnen Otto Dix. 1919 lernt sie den Maler Otto Griebel kennen. Er ist es, der die betont unbürgerliche Zwanzigjährige mit Kurt Lohse (1892–1958) bekannt macht und wie folgt beschreibt: „Diese Malerin nannte sich Nikolaus Wächtler, trug kurzgeschnittenes Haar, dazu eine Russenbluse mit Gürtel, auf dem Kopf einen Männerhut und rauchte Pfeife. Unter uns hieß man die merkwürdige Kollegin, die sehr begabt war, nur ‚Laus‘.“ 1 Zwischen Lohse, der zwischen Malerei- und Gesangsausbildung schwankt, und Elfriede entsteht trotz unterschiedlicher Lebensauffassung eine intensive Liebesbeziehung. 1921 heiraten beide, 1923 trennen sie sich erstmals, um dennoch immer wieder zusammenzufinden. Elfriedes extravaganten Charakter beschreibt Griebel in seinem Bericht vom Silvesterabend 1923/24: „Und ich sehe es noch [wie] heute, plötzlich zog Laus alle Sachen herunter und tanzte splitternackt mit einer Tabakspfeife zwischen den Zähnen vor uns. Laus konnte sich so etwas unbeschadet leisten; sie war exzentrisch, ihr gefiel alles Außergewöhnliche, aber nie das Gemeine, und dieser Nackttanz war großartig und gar nicht ordinär.“ 2 Im Herbst 1926 zieht sie ihrem Mann nach Hamburg nach. Hier tritt sie in den Bund Hamburgischer Künstlerinnen und Kunstfreundinnen (später GEDOK) ein. 1927 beteiligt sie sich erstmals in diesem Kreis an einer Ausstellung.
Nach einem Nervenzusammenbruch aufgrund ihrer partnerschaftlichen, aber auch ihrer immer schwierigeren wirtschaftlichen Situation wird sie im Februar 1929 in die Psychiatrische Abteilung der Staatskrankenanstalt Hamburg-Friedrichsberg eingewiesen. Während des zweimonatigen Aufenthaltes entstehen über 60 Zeichnungen und Pastelle (Friedrichsberger Köpfe). Noch im selben Jahr wird die Werkgruppe im Hamburger Kunstsalon gezeigt. Die Arbeiten tragen der Schöpferin begeisterte Kritiken ein. Einen dieser expressiven, engelsgleichen Köpfe zeigt die Ausstellung [33]. Trotz Verkäufen und regen Ausstellungsbeteiligungen lebt sie in bitterer Armut und ist genötigt, den Hamburger Senat um Unterstützung zu bitten. Dennoch sind die Jahre 1929 bis 1931 ihre intensivste Schaffensphase. Es sind Bildnisse wie Frauenkopf [32] und Brustbild [31], die in jenen Jahren entstehen, aber auch Ansichten von Hamburg und Szenen aus dem Leben der Großstadt mit ihren Vergnügungsvierteln (Herbertstraße, 1930 [34]).
Als sich 1931 ihre psychische Situation weiter verschlechtert, kehrt sie in ihr Elternhaus nach Dresden zurück. Ihr Vater bringt sie in der Landes-Heil- und Pflegeanstalt Arnsdorf unter, wo man Schizophrenie diagnostiziert. Trotz wiederholter Appelle an ihre Eltern, ihre Entlassung zu bewirken, gelingt es der Familie nicht, die Künstlerin zu befreien. Bis 1935 entstehen eine Vielzahl von Bleistift- und Tuschezeichnungen der Kranken und des Pflegepersonals. 1935 kommt es auf Drängen von Kurt Lohse zur Scheidung. Im gleichen Jahr wird die Künstlerin infolge des nationalsozialistischen „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ entmündigt und zwangssterilisiert. Dies bricht ihre Schaffenskraft endgültig. Im Juli 1940 wird sie in die Landes-Heil- und Pflegeanstalt Pirna-Sonnenstein deportiert, wo man sie wenige Tage nach ihrer Ankunft vergast – offizielle Todesursache: „Lungenentzündung mit Herzmuskelschwäche“.
Matthias Rataiczyk
- 1) Otto Griebel. Ich war ein Mann der Straße. Lebenserinnerungen eines Dresdner Malers. Aus dem Nachlass herausgegeben von Matthias Griebel und Hans-Peter Lühr, Halle/Leipzig 1986, S. 87, 89.
- 2) Griebel, Otto: Erinnerungen an Laus (Frieda Wächtler), zit. nach: Im Malstrom des Lebens versunken … Elfriede Lohse-Wächtler 1899–1940. Leben und Werk, hrsg. v. Georg Reinhardt, Köln 1996, S. 291–294, hier S. 293.